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Stefan Truthän

hhpberlin - Ingenieure für Brandschutz GmbH

Eine digitalisierte Stadt ist nicht automatisch eine smarte Stadt. Sicherheit muss in einer Smart City völlig neu gedacht werden. Wie – damit beschäftigt sich Stefan Truthän, Geschäftsfüher bei hhpberlin– Ingenieure für Brandschutz GmbH. Truthän und sein Team widmen sich seit 20 Jahren erfolgreich komplexen Bauvorhaben, vermitteln Wissen zu Brand- und Katastrophenschutz und sind in Sachen Digitalisierung ganz vorne mit dabei. Dass das allein nicht ausreicht erklärt der Visionär im Interview. 

Wenn man an Smart City denkt, kommt einem erst mal nicht direkt das Thema Brandschutz in den Kopf – was hat Brandschutz mit einer Smart City zu tun? Die Themen Sicherheit und Brandschutz sind aus dem Kontext einer smarten Stadt keinesfalls wegzudenken. Eine smarte Stadt sucht nach Effizienz, baut Redundanzen ab und verhindert möglicherweise auch Latenzen. Sie zeichnet sich durch ihre Fürsorge für die Menschen, die in ihr leben, aus.Die Stadt muss für alle Menschen zu einem lebenswerten Raum gemacht werden. Und damit einhergehend, geht es im Kontext von Smart Cities auch um öffentliche Daseinsvorsorge: Es braucht sichere Umgebungen. Das geht über die Bereiche Security, polizeiliche Gefahrenabwehr, Verbrechungsvermeidung und -bekämpfung hinaus. Bei Smart Cities geht es auch um Themen wie Arbeitsplatzsicherheit, Sicherheit im Kontext von Verkehrsunfallvermeidung und letztlich natürlich auch um Brandschutz.

Was nicht verwechselt werden darf: Die Digitalisierung macht smarte Städte erst möglich, aber eine digitale Stadt ist nicht automatisch eine smarte Stadt. Smart Cities basieren nicht ausschließlich auf Technologieanwendungen. Es geht vielmehr um intelligente Lösungen, um die Stadt leistungsfähiger, resilienter und schließlich auch sicherer zu machen. 

Inwiefern spielt die Digitalisierung für den Brandschutz eine Rolle? Wir wollen, dass unsere Städte sicher sind und bleiben. Ein wesentlicher Beitrag, den die Digitalisierung leisten kann, ist das Überwinden sogenannter “safety gaps”. In der klassischen Welt sind Planer und Betreiber zum Einhalten von Regeln und Strukturen verpflichtet und Gebäude müssen nach diesen Regeln ausgerichtet werden. Nicht immer werden diese Regeln durch alle Akteure richtig interpretiert. Gedachte und tatsächliche Sicherheit können voneinander abweichen. Diese Diskrepanz zwischen der Annahme, wie sicher man glaubt zu sein, und der Tatsache, wie sicher man wirklich ist, diese sogenannte “safety gap“, kann durch Digitalisierung sichtbar gemacht und im Zweifel sogar vermieden werden. Darüber hinaus kann uns die Digitalisierung Arbeitsaufgaben abnehmen und nachhaltig unterstützen: Digitale Werkzeuge können bei der Datenerhebung und -analyse sowie bei Entscheidungen erheblich helfen. Digitale Simulationen, IoT-Szenarien, Predictive Analytics oder digitale Zwillinge von Gebäuden sind nur einige Anwendungsbeispiele einer umfangreichen Sammlung digitaler Werkzeuge, die zu einer qualitativen und quantitativen Verbesserung im Bereich Brandschutz und Sicherheit führen.

Sie werden auch oft als Visionär bezeichnet – was genau ist Ihre Vision zum Thema Digitalisierung und Brandschutz? Die Welt ist im Wandel und hebt sich disruptiv immer wieder aus den Angeln. Dass ich diesen Wandel mitdenke, dass ich die Vergangenheit nicht als Gradgeber nehme und die Herausforderungen der Zukunft nicht mit heutigen Bordmitteln lösen möchte, macht mich wahrscheinlich zu einem Visionär. Wenn ich von visionären Ideen spreche, spielt die Digitalisierung jedoch nicht immer zwangsläufig eine Rolle. Sicherlich bedient man sich digitaler Werkzeuge, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen, eine zwingende Voraussetzung für Visionen sind diese jedoch nicht. 

Was verändert sich alles konkret und hat Auswirkungen auf den Brandschutz? Die Urbanisierung schreitet voran, Infrastrukturen wachsen, Stärke und Frequenz von Naturkatastrophen nehmen zu. Gleichzeitig beobachten wir das Phänomen der Individualisierung. Wir haben einen europäischen Lebens- und Arbeitsraum: In den Städten sind teilweise hundert Nationen vertreten. Die Sicherheitsorganisationen sind aktuell jedoch aufgestellt wie vor 100 Jahren: mit reaktiven Szenarien. Hinzu kommen einschneidende demographische Entwicklungen: Wir werden in den nächsten Jahren offensichtlich nicht mehr genug freiwillige oder professionelle Einsatzkräfte haben, die die zukünftig steigenden Einsatzzahlen auf klassischem Wege und dem gleichen Sicherheitsniveau bewältigen können.  Auch werden die Menschen immer älter, wodurch völlig neue Anforderungen an Gebäude und Infrastrukturen entstehen. Wenn perspektivisch 80 Prozent der Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, müssen beispielsweise Zugangssituationen und Barrierefreiheiten völlig neu gedacht werden. Hier besteht Handlungsbedarf. 

Es braucht einen Innovationsschub. Diesen müssen wir proaktiv angehen. Wir müssen Dinge von Grund auf neu denken statt einfach nur fortzudenken. Für den Brandschutz der Zukunft bedeutet das: Wir brauchen einen Brandschutz mit Voraussicht. Wir benötigen dynamikrobustere Modelle der Zukunft und einfachere Adaptionsverfahren. Mit intelligent verknüpften Daten lassen sich Risiken frühzeitig erkennen, kommunizieren und minimieren. So können wir die Städte sicherer und planbarer machen. 

hhpberlinist eines der erfolgreichsten Brandschutzunternehmen, was zeichnet es aus? Unser Erfolg liegt unter anderem darin begründet, dass die Organisation und die Menschen in der Organisation nicht primär einem Umsatz- und Gewinnbestreben folgen, sondern das Ziel haben, sichere Gebäude zu planen. Wir unterstützen unsere Kunden ernsthaft und authentisch, sichere Umgebungen zu erbauen und zu betreiben. Wir wollen nachhaltig sichere Städte. Wir wollen in Deutschland, Europa und weltweit sichere Lebensräume schaffen. Das ist unsere Mission und unsere Errungenschaft. Das sind nicht die Auszeichnungen für die größten oder teuersten Projekte. Und dasist sicherlich ein Grund, warum hhpberlin nun beinahe 20 Jahre erfolgreich am Markt etabliert ist.

Wie sieht smarter Brandschutz aus? Was bedeutet das genau und für wen wird das wichtig? Smarter Brandschutz kann zum einen den abwehrenden Brandschutz entscheidend unterstützen: Sicherheitsorganisationen wie die Feuerwehr können – indem sie sich zum Beispiel das intelligente Gebäude nutzbar machen – mit weniger Einsatzkräften schneller am Ziel sein und mehr über den vorzufindenden Vorfall wissen. 

Auch aus planerischer Sicht spielt smarter Brandschutz für die Stadt eine entscheidende Rolle. Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen für smarten vorbeugenden Brandschutz, die zu einer schnellen und effizienten Gebäudeplanung führen und gleichzeitig ein hohes Sicherheitsmaß bieten: Modellchecks und Simulationen können Inkonsistenzen in der Planung des Architekten erkennen und im Vorfeld bereits dabei helfen, die richtigen Maßnahmen zu kombinieren. Mit intelligenter Planung lassen sich Fehler entdecken, die möglicherweise im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu einem Sicherheitsnachteil führen. Bestimmte Sensorik- und Detektionsverfahren können frühzeitig Mängel und Störungen identifizieren. Eine digitale Zusammenarbeit hilft, Bauordnungsverfahren zu beschleunigen und Bauanträge können mithilfe von Blockchains schneller genehmigt werden. Smarter Brandschutz kann darüber hinaus dafür sorgen, dass Gebäudebestandteile im Kontext von Sicherheit klug mitdenken, bspw. Evakuierungsszenarien vorhersimulieren und eine dynamische Fluchtwegsteuerung ermöglichen. Damit bleiben Lebensräume über die Lebenszeit der Gebäude hinaus sicherer im Blick.  

Gibt es auch Nachteile gegenüber dem klassischen Brandschutz? Die Art und Weise, wie unsere Akteure der Sicherheit in einer digitalen Welt miteinander kooperieren, schafft neue Bindungen und neue Formen der Zusammenarbeit, erfordert jedoch auch neue Regeln. Wenn smarte Ansätze kontinuierlich auch auf Missstände oder auf Störungen hinweisen, kann man sich nicht mehr der Verantwortung entziehen und im Zweifel dem Betreiber eine Haftung zuschreiben. Eine proaktiv digitalisierte Welt erfordert proaktives Handeln. Lineare Arbeitsweisen der reaktiven Welt greifen hier nicht mehr. Man steht in größerer Verantwortung. Smarter Brandschutz braucht also Ingenieure, die gegebenenfalls auch mal über den von Künstlicher Intelligenz oder Algorithmen getroffenen Entscheidungen stehen. Sie müssen den Kontext ganzheitlicher beherrschen, als es vielleicht heute noch erwartet wird.

Wie hat sich die Arbeit eines Brandschutzingenieursvon heute verändert und auf was müssen sich Mitarbeiter aber auch Unternehmen und Bürger einrichten? Die größte Veränderung, die mit der smarten oder digitalen Stadt einhergeht, ist sicherlich die Beschleunigung - von Kommunikation, Entscheidungen und Arbeitsschritten. Eine Herausforderung wird es sein, sich dadurch nicht getrieben zu fühlen. Stattdessen sollte man künftig in der Lage sein, die nächsten Schritte mit Bedacht anzugehen.

Die Ingenieure der Zukunft werden durch die Digitalisierung nicht von Entscheidungen entlastet. Vielmehr müssen sie sich ihrer neuen, ganzheitlichen Verantwortung bewusst sein. Sie müssen Intuition und Erfahrung in die digitale Welt mitbringenDie Ingenieure der Zukunft werden zunehmend in interdisziplinär vernetzten Teams arbeiten und miteinander um einen ganzheitlichen Lösungsansatz ringen, der einen viel langfristigeren Effekt auf die gesamte Sicherheit der Stadt hat. Die Ingenieure von morgen sind Generalisten, Vernetzer und Navigatoren in einem immer schneller rotierenden Gefüge von zahlreichen Akteuren, Informationen und Daten.

hhpberlinist europaweit führend auf dem Gebiet. Welche Erfahrungen hinsichtlich Smart-City-Entwicklungen konnten Siein anderen Städten beobachten? Sicherlich steht in anderen Ländern die Angst vor Veränderung und Digitalisierung nicht so sehr im Weg wie in Deutschland. Hier schreckt man häufig vor jeder Art der Datenanalyse zurück. Anderen Städten ist es bereits gelungen, veraltete Arbeitsprozesse zu dekonstruieren und diese neu und klug zu kombinieren. Entscheidend ist das Überwinden von Silodenken. Interdisziplinäre Teams oder Gruppierungen, die fachübergreifend logisch zusammenarbeiten und nicht in Schubladen denken, sind ein wesentliches Merkmal anderer smarter Städte.

Der schiere Erhalt klassischer Strukturen verhindert, dass etwas “smartes” entstehen kann. Die reine Koexistenz von Grünflächenamt, Verkehrsamt, Verkehrsbetrieben, Stadtreinigung, Feuerwehr und Polizei bremst den Fortschritt aus. Ein smarter Ansatz ist die Verknüpfung dieser Institutionen: Wenn die Verkehrsplanung zum Beispiel signalisiert, dass das Verkehrsaufkommen gerade gering ist, lässt sich die Abfallwirtschaft gut geplant einsetzen, um die aktuell wenig befahrenen Straßen zu reinigen.

Haben Sie ein Best Practice Beispiel für uns aus anderen Städten? Gute Beispiele sind Kopenhagen oder Vancouver. Hier greifen logische Bausteine ineinander, die früher für sich allein existierten. Die Verkehrsleitung und der öffentliche Nahverkehr gehen quasi aus einer Hand. Das ist sehr sinnvoll und macht die Städte tatsächlich zu lebenswerten Städten. Davon sind wir in Berlin meiner Meinung nach noch weit entfernt. 

Was macht Berlin zu einer Smart City? Und welche Potenziale und Vorteile hat Berlin, die andere Städte nicht haben? In Berlin wird aktuell leider noch viel zu technologisch und digital gedacht. Das muss nicht sein, denn die Digitalisierung ist nicht das Hauptkriterium für eine Smart City. Und Berlin hat durchaus das Potenzial zu einer nachhaltig smarten Stadt. Dieses liegt vor allem in der Größe und Individualität der Stadt sowie der Aufgeschlossenheit der Menschen, die hier leben. All das kann Berlin zu einem Labor des Wandels werden lassen. Ich bin überzeugt, dass die Berliner grundsätzlich bereit sind, Risiken einzugehen und Beta-Tester von Veränderungen zu werden. Das muss jedoch ganzheitlich und nicht nur mit Blick auf Technologien geschehen. Das Potenzial Berlins kann darin liegen, etwas zu wagen, es aber auch in Frage zu stellen. Dafür braucht es Mut, auch in der Politik.

Wie sieht für Siedie Stadt der Zukunft aus? Die Stadt der Zukunft schafft interessante und lebenswerte Umgebungen und passt sich den individuellen Bedürfnissen ihrer Bewohner an. Dafür muss sie sich extrem schnell in ihren Fähigkeiten verändern können: Ein Gebäude könnte zum Beispiel vormittags Schule und abends Partylocation sein, es könnte aktuell Co-Working Space, in Zukunft vielleicht aber Shopping Mall sein. Ich sehe die Stadt der Zukunft nicht als monolithisches Betonsystem, sondern als intelligent gedachte und stets wandelbare Infrastruktur. Sie muss atmen und natürlich wachsen können, indem sie Bedürfnisse und Lebensräume der Zukunft mitdenkt. Responsiv, dynamikrobust und resilient – so sehe ich die Stadt der Zukunft.

Zu guter Letzt: Könnten Sie bitte folgenden Satz beenden: „Berlin ist smart, weil… Berlin ist smart, weil die Menschen hier wie Sisyphus sind. Sie geben niemals auf.

© hhpberlin

Matthias Heskamp

...ist Geschäftsführer der Reallabor Radbahn gUG sowie Vorstand von paper planes e.V. Der Verein hat die Idee des Reallabors Radbahn entwickelt und…

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Dr. Darla Nickel

… mag Regen. Er macht ihr aber auch Sorgen. Als Leiterin der Berliner Regenwasseragentur lautet ihr Motto: „Niederschlag dem Klimawandel“.

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Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring

... ist Projektleiterin „Zukunft findet Stadt“ und Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Wissenschaftskommunikation an der HTW Berlin.

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