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Matthias Heskamp

Reallabor Radbahn gUG

Ein 200 Meter langes Testfeld im Herzen von Berlin: Das „Reallabor Radbahn“ unter dem Viadukt der U1 auf der Skalitzer Straße – zwischen Mariannen- und Oranienstraße – gab es in dieser Form bisher noch nicht. Vom 25. April bis zum 15. Juni 2024 macht das Kreuzberger Experimentierfeld für alle spür- und erlebbar, wie sich die Lebensqualität in einer Stadt wie Berlin durch bauliche Veränderungen verbessern lässt. Der öffentliche Raum wird zur Gestaltungsfläche zwischen zwei Fahrbahnen. In der Mitte ein Radweg, der – so die Vision – einmal neun Kilometer unter und entlang der U1-Strecke verlaufen könnte. Der Architekt Matthias Heskamp ist Geschäftsführer der Reallabor Radbahn gUG sowie Vorstand von paper planes e.V. Der Verein hat die Idee des Reallabors Radbahn entwickelt und setzt sie nun im Rahmen eines Förderprojekts gemeinsam mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg um. Im Interview erzählt Matthias Heskamp mehr über das Projekt, die Erfahrungen aus der bisherigen „Laborarbeit“ und die Bedeutung des Reallabors Radbahn für die Umsetzung regionaler und nationaler Smart City-Ziele.

Herr Heskamp, was hat das Team von Paper Planes bewogen, das Reallabor Radbahn zu initiieren – und wie war der Werdegang des Projektes?

Die von uns entwickelte Idee der Radbahn stieß in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit auf eine unerwartet positive Resonanz. Finanziert über Crowdfunding, entstand 2017 das Buch „Radbahn Berlin, Zukunftsvisionen für die ökomobile Stadt“. Es setzt den Fokus auf die Potenziale, die Berlin im Querschnitt bietet, zeigt aber auch Ansätze für konstruktive Lösungen auf. Das Buch hat uns auch in der Politik und Verwaltung Respekt verschafft. Dennoch war die Grundlage in Berlin scheinbar noch nicht da, um einfach mal einen Hebel umzulegen und die neun Kilometer lange Strecke bauen zu lassen. Im Umfeld des Strategiedialog Smart Cities 2017/2018 des Netzwerks Smart City Berlin und des Expert:innenkreises „Nachhaltige Mobilität in Stadtquartieren” des Netzwerks haben wir festgestellt, dass ein Reallabor, mit einem in der Größe beschränkten Testfeld und temporären Charakter das richtige Medium ist, um etwas in die Umsetzung zu bringen. 2019 haben wir uns mit diesem Ansatz beim Land Berlin beworben. Und Berlin wiederum hat mit uns zusammen einen Antrag beim Bund gestellt – im Rahmen der Förderung Nationale Projekte des Städtebaus. Mit Erfolg. Im Herbst 2019 kam der Zuschlag.

Welches sind die bisher wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt – und was hätte besser laufen können?

Mit dem Status eines Experimentierlabors und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als Partner sind wir davon ausgegangen, langwierige Genehmigungsprozess einfacher handhaben zu können und entsprechend schnell von der Planung in die Umsetzung zu kommen. Das war allerdings sehr ambitioniert gedacht. Derzeit befinden wir uns bereits in einer Projektverlängerungsphase, um den Bau und Bewertung des eigentlichen Testfeldes noch ermöglichen zu können. Vorausgegangen sind vier Jahren der Planung und viele Abstimmungsrunden, die insbesondere im Kontext einer vom Fördermittelgeber geforderten, in das Projekt einzubindenden Kreuzung standen. Fazit: Die Kreuzung hat es dennoch nicht geschafft. Stattdessen haben wir immer dann Punkte sammeln können, wenn wir agil im Kleinen unterwegs waren. Beispielsweise mit einem etwa 50 Meter langen Aktionsfeld, das wir im Sommer 2022 – noch vor dem eigentlichen Bau der 200-Meter-Strecke – bespielten. Dort haben wir im “Hands-on-Duktus“ eine Radreparatur-Station, eine Ausstellung aus recycelten Straßenschildern und eine Lichtinstallation auf die Beine gebracht. Letztere lässt sich unter anderem mit Muskelkraft zum Leuchten bringen. All das passt zu Kreuzberg

Das ab dem 25. April 2024 aktiv bespielte, 200 Meter lange Testfeld „Reallabor Radbahn“ ist als „dynamische, bespielbare Fläche“ angedacht: Was genau wird dort passieren?

Das Wort „dynamisch“ beschreibt es sehr treffend. Wir haben in Beteiligungsveranstaltungen gelernt, dass die Stadt mehr Freiflächen anbieten sollte, die Bürgerinnen und Bürger kreativ nach ihren eigenen Vorstellungen nutzen und gestalten können. Das ist bei uns der Fall! Neben dem eigentlichen Radweg stellen wir vor allem nutzbare Freiflächen mit einer Oberfläche aus vorhandenen, versickerungsoffen Steinen zur Verfügung. Mit einer kleinen und großen Tribüne, Bänken, Objekten zum Musizieren, angrenzenden entsiegelte Flächen, auf denen gepflanzt werden kann, einem für alle offenen WLAN, etc. Sprich: Wir bieten eine inspirierende Grundinfrastruktur. Darüber hinaus gibt es eine flexibel arrangierbare Ausstellung zu dem Projekt und eine Radreparatur-Station. Nicht zuletzt hoffen wir, über das Testfeld Erkenntnisse zu heutigen dringenden Fragen zu gewinnen. So werden wir beispielsweise in unterschiedlich angelegten Grünanlagen testen, was Versickerungs- oder Verdunstungsbeete für das Mikroklima leisten können, ob auf das Viadukt treffendes Regenwasser durch Pflanzen gereinigt werden kann und wie sich die Luft verbessern lässt. Last but not least wollen wir wissen, ob das Stresslevel von Radfahrenden sinkt, wenn sie vorher über Anzeigetafeln darüber informiert werden, ob sie die Grünphase an der nächsten Kreuzung noch erreichen können.

In einer mehrstufigen Beteiligung wurden im Vorfeld Ideen und Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern gesammelt. Was wird davon in die Testphase einfließen?

Die in unserem Buch publizierten Ideen für die Radbahn wurden grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt. Im Rahmen einer Online Ideensammlung und in einem mehrtägigen Workshop, dessen Beteiligte per Zufallsprinzip eingeladen waren, wurden ergebnisoffene Fragen zu Inhalt und Gestaltung des Testfeldes gestellt. Hierbei entstand der den Entwurf prägende Ansatz von raumbildenden Clustern: einer Interaktions-Insel und einer Rad-Insel, die durch einen partiell als Patenschafts-Beet angelegten Grünstreifen verbunden werden. Konkrete Ideen, wie beispielsweise eine Akustikwand, Infotafeln, Sitzgruppen, ein Sound-Spielplatz und ein Rückmelde-Postkasten werden baulich umgesetzt und getestet. Konzeptionell wurden Flächen für eigene Ideen sowie eine verständliche Grafik angeregt. Beides wurde in der Planung berücksichtigt und wird in seiner Funktion ab dem 25. April auf Resonanz und Akzeptanz hin untersucht.

Wie geht es mit der Radbahn weiter? Kommen weitere Abschnitte hinzu?

Mit dem Bau des Testfeldes ist zunächst ein großer Meilenstein erreicht. Eines können wir an dieser Stelle allerdings schon manifestieren: Der umzugestaltende Raum sollte größer gedacht werden. Sowohl räumlich als auch in der Vielfältigkeit seiner Nutzung. Das haben sowohl Hinweise aus der Beteiligung als auch eine von uns beauftragte Potenzial- und Risikoanalyse sowie das Ergebnis einer von der Senatsverwaltung in Auftrag gegebenen verkehrstechnischen Studie zutage gebracht. Die Studie zieht sogar in Betracht, dem Kraftfahrzeugverkehrs zwei Fahrspuren zu entnehmen und diese bei der Neugestaltung mit dem Raum unter dem Viadukt zusammenzudenken.

Wird das Projekt evaluiert werden? Und welche Ergebnisse erhoffen Sie sich daraus?

Die Evaluation des Testfeldes ist Dreh- und Angelpunkt des Förderprojekts. Wenn man dem Förderprojekt gerecht werden will, muss jetzt offen bewertet werden, was gut funktioniert und was nicht. Über eigene Beobachtungen und die Befragung von Nutzerinnen und Nutzern durch einen externen Dienstleister werden wir Ergebnisse zusammentragen. Die Befragung wird sowohl vor Ort als auch online durchgeführt werden, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen. Die Kernfrage dabei ist: Wie wird unser Testfeld von verschiedenen Gruppen genutzt, wahrgenommen und bewertet? Wir erhoffen uns nach all den Ideenwerkstätten im Vorfeld eine empirische, das Resultat bewertende, sachliche Grundlage, um Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Projektes verfassen zu können. Wir werden die Ergebnisse zusammenfassen und der Öffentlichkeit, dem Fachpublikum, aber auch Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung zur Verfügung stellen.

Die Reallabor Radbahn gUG arbeitet auch in weiteren Quartiersprojekten. Welche sind das? Und was verspricht sich das Team davon?

Der Verein paper planes hat die Reallabor Radbahn gUG ins Leben gerufen, um anhand eines konkreten Förderprojektes drängende Fragen zur zeitgemäßen, menschzentrierten Nutzung und Aufteilung des öffentlichen Raumes zu untersuchen. Dieser Frage gehen wir in mehreren Projekten nach. Das Manifest der freien Straße entstand in Kooperation mit der TU Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) als Förderprojekt der Stiftung Mercator. Unser Beteiligungsprojekt im Graefekiez schöpft aus diesen Erkenntnissen. Hier sollen zwei Straßen umgestaltet werden. Übergeordnete Ziele sind eine stärkere Verkehrsberuhigung, die aktive alternative Nutzung des Parkraums durch die Anwohnenden und eine großflächige Entsiegelung und damit einhergehenden Bepflanzung.

Das Reallabor Radbahn engagiert sich auch im Netzwerk Smart City Berlin. Welchen Mehrwert bietet das Netzwerk dem Team?

Wir Menschen haben unser Schicksal zum Teil selbst in der Hand. Es liegt an uns, die Stadt an unsere weit gefächerten Bedürfnisse anzupassen. Wir belegen einen Ort und dessen Einrichtungen mit vielseitigen Ansprüchen. Das „Entweder-Oder“ ist bei begrenzten Ressourcen keine Option. Smart ist, wenn synergetisch geantwortet, geteilt und erkannt wird und adhoc reagiert werden kann. Das Netzwerk ist der Nährboden dafür.

Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?

Die Stadt der Zukunft ist wieder grün. In ihr ist Raum für Menschen mit unterschiedlichen Tagesabläufen. Vielseitigkeit ist Programm. Eine Riesenbibliothek der Dinge steht allen zur Verfügung. Energie entsteht vor Ort, die Wege sind kurz. Die Luft lädt zum Yoga auf der Straße ein.

Könnten Sie bitte folgenden Satz beenden: „Berlin ist smart, weil…

… seine Bürgerinnen und Bürger es sind. Dieses Potenzial muss man nur entdecken und sich entfalten lassen. (vdo)
 

radbahn.berlin.de
Reallabor Radbahn

© paper planes e. V.

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… mag Regen. Er macht ihr aber auch Sorgen. Als Leiterin der Berliner Regenwasseragentur lautet ihr Motto: „Niederschlag dem Klimawandel“.

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Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring

... ist Projektleiterin „Zukunft findet Stadt“ und Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Wissenschaftskommunikation an der HTW Berlin.

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Die Vorständin der ZUsammenKUNFT Berlin eG geht auch auf ungewissem Terrain gern neue Wege.

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