Dr. Anita Dame
Climate Change Center Berlin Brandenburg
Das Climate Change Center Berlin Brandenburg (CCC) hat sich als inter- und transdisziplinäres Zentrum für Forschung und Wissenstransfer ein hohes Ziel gesetzt: Wissenschaft und Forschung in der Region stärker miteinander zu verknüpfen und in enger Zusammenarbeit mit Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Klimaforschung schneller in die Umsetzung zu bringen. Es geht um Maßnahmen und Lösungsstrategien für die gesamte Region Berlin-Brandenburg, um eine Vernetzung auf Augenhöhe. 14 Universitäten und Hochschulen sowie 28 Forschungseinrichtungen und Think-Tanks sind inzwischen Partner des 2019 gegründeten Netzwerks. Dr. Anita Dame ist seit 2020 Geschäftsführerin des CCC, angebunden an die Technische Universität Berlin. Im Interview gibt sie einen Einblick in die Arbeit des Climate Chance Center Berlin Brandenburg und erläutert, warum Wissenstransfer ausgesprochen wichtig ist, um Klimaforschung neu zu denken.
Frau Dr. Dame, was macht das Climate Change Center Berlin Brandenburg besonders?
Das Climate Change Center ist quasi das grüne Netzwerk der Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Berlin und Brandenburg. Es geht zurück auf die Gründung der Berlin University Alliance. Die Idee war 2019, das Potenzial der Region für ein Klimaforschungszentrum zu nutzen. Das Besondere an uns ist, dass wir ein so großes, dichtes und vielfältiges Netzwerk sind. Wir verstehen uns als Netzwerkagent und versuchen, als „Honest Broker“ unsere rund 30 Partner bei ihren Nachhaltigkeitsstrategien in Forschung, Lehre und Transfer zu unterstützen. Als Ermöglichungsplattform wollen wir außerdem aus der Summe der Teile einen Mehrwert schaffen. Diesen Schatz wollen wir mit dem Climate Change Center gerne heben.
Welches ist die Zielsetzung des Netzwerks?
Wir haben im Grunde drei Ziele:Erstens geht es uns darum, Lösungen im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung zu erforschen. Damit meine ich im Kern nicht Grundlagenforschung, sondern Klimalösungsforschung, die per se inter- und transdisziplinär ist. Zweitens wollen wir dafür Akteure aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vernetzen. Und drittens möchten wir dies alles ganz klar für die Region Berlin-Brandenburg tun, um Klimalösungen aus und für die Metropolregion zu schaffen. Es geht uns darum, die Folgen des Klimawandels durch nachhaltige Lösungen zu mindern (Mitigation), die regionale Anpassungsfähigkeit zu steigern (Adaption) und Resilienz durch soziale und technologische Innovationen zu fördern. In diesem Dreiklang bewegen wir uns als Netzwerk. Wir machen dabei nicht klassische Klimafolgenforschung unter einem Dach, wie etwa das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das Netzwerk des CCC ist heterogen. Und diese Dezentralität muss erstmal zusammengebracht werden.
Wen will das Netzwerk ansprechen?
Die Perspektive des CCC ist grundsätzlich nach außen gerichtet, sie ist transdisziplinär und transformativ. Wir haben einen expliziten Interventionsanspruch. Es geht uns um Wissenschaft, die zusammen mit Praxispartnern an Lösungen für reale Probleme arbeitet. Und davon haben wir aktuell viele, zu viele. Hinzu kommt, dass in Zeiten multipler Krisen vieles zusammenhängt. Um diesen Anspruch gerecht zu werden, mussten wir im Netzwerk zunächst zwei Dinge leisten: Zum einen ging es darum, ein „Boundary Object“ zu definieren: einen gemeinsamen Forschungsgegenstand und geteilten Identitätsraum, in dem wir Forschungskomplexität reduziert runterbrechen können. Dieses Boundary Object ist für das CCC die Metropolregion Berlin-Brandenburg. Zum anderen gilt es, die wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Expertise, die in unserem Netzwerk breit gestreut und zum Teil stark auf einzelne Sektoren wie Energie, Mobilität oder Landnutzung ausgerichtet ist, zu identifizieren, sie übergreifend zu vernetzen und sie auch für Außenstehende zugänglich und nutzbar zu machen.
Was konnte bisher erreicht werden? Können Sie nach fast fünf Jahren eine Zwischenbilanz ziehen?
Die Dynamik der Straße, die 2019 mit Fridays for Future in Gang gesetzt wurde, wurde durch Corona abrupt und extrem abgebremst. Wir haben jetzt eine andere Zeit. Auch die Klimafolgenforschung muss sich neu aufstellen. Uns ist es in wenigen Jahren gelungen, einen Großteil der regionalen Hochschulen und Forschungsreinrichtungen ins Netzwerk des Climate Change Centers einzubinden. Besonders aktive Mitglieder sind die Universitäten der Berlin University Alliance: die Technische Universität Berlin, die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin sowie die Charité – Universitätsmedizin Berlin, aber auch die Universität der Künste Berlin und die Universität Potsdam. Das ist sozusagen der Kern des CCC. Gemeinsam haben wir verschiedene Maßnahmen und Initiativen auf den Weg gebracht, um die Effekte des CCC, insbesondere seitens der Forschung, weiter zu skalieren.
Das CCC hat seit 2021 rund 40 Forschungs- und Transferprojekte umgesetzt. Was zeichnet diese aus – und wonach wurden sie ausgewählt?
Eines meiner persönlichen Lieblingsprojekte ist das CCC-Projekt „Regionales Cluster Holz und nachwachsende Rohstoffe Berlin-Brandenburg“, an dem die TU Berlin, die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und das Bauhaus Erde beteiligt sind. Das Projekt ist inhaltlich hoch relevant. Es bildet aber auch sehr gut ab, wofür sich das Climate Change Center als Netzwerkagent stark macht. Das Projekt vernetzt unterschiedliche Akteursgruppen entlang der kompletten Wertschöpfungskette, wie den Landesbeirat Holz, Förstereien und Unternehmen der Holz- und Bauindustrie. Ein Schwerpunkt ist die Stärkung der Schnittstelle zwischen Baupraxis und der Forschungslandschaft in der Region Berlin-Brandenburg. Projekte wie diese sind der optimale Nährboden für Großereignisse wie eine Internationale Bauausstellung zu nachhaltigem Bauen und Stadtentwicklung in zehn Jahren, auf die sich Berlin vorbereitet. Inhaltlich haben wir in der aktuellen ersten Förderphase Projekte vor allem im Bottom-up-Prinzip ausgewählt. Dabei kristallisierten sich recht schnell die jetzigen Themenschwerpunkte Energie, Umwelt, Mobilität, Bauen, Ernährung, Gesundheit, Politik und Bildung heraus. Eine zukünftige Förderung würden wir anhand dieser Themenschwerpunkte top-down auswählen. Die ersten Seed-Funding-Projekte sind bereits am Start. Die Zielsetzung ist dabei ganz klar: Alle Projekte sollten einen Bezug zu Berlin-Brandenburg haben und nach sechs bis acht Monaten erste Ergebnisse liefern, die als Add-on in der Praxis auf die Straße gebracht werden können.
Berlin soll bis zum Jahr 2045 zu einer klimaneutralen Stadt werden. Halten Sie das für realistisch?
Klimaneutralität bis 2045, verstanden als eine Reduzierung der CO2-Emissionen um über 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990, halte ich nach wie vor für möglich. Das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK 2030) gibt dafür den Fahrplan vor. Das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln) steckt den gesetzlichen Rahmen. Wissenschaftlich gesehen sind die technologischen Möglichkeiten gegeben. Herausfordernder sind Umsetzungsfragen, Fragen der Klima-Governance, also der Architektur der Klimaschutzmaßnahmen – und Prozesse, die auch länderübergreifend sein müssen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Brandenburg. Aus gesellschaftlicher Sicht ist der Aspekt der Klimaanpassung und Resilienz genauso wichtig. Dieser schafft Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen, die von den Bürgerinnen und Bürgern oftmals als einschneidend wahrgenommen werden, wie etwa das Heizungsgesetz. Wichtige strategische Eckpfeiler auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt sind der Erhalt von Berlin als eine lebenswerte, grüne Stadt, ein kluger Umgang mit Wassermanagement hin zur Schwammstadt, multimodale Mobilitätsangebote, die den Verzicht auf das Auto leicht machen. Die Stadt muss sich zukunftsfest machen: Indem sie sich dem Klimawandel anpasst, CO2 einspart und sich gegenüber extremen Wetterereignissen wappnet. Es geht darum, eine attraktive, klimagereichte Vision von einem lebenswerten Berlin für alle zu schaffen. Klimaneutralität gelingt dann hoffentlich fast von allein.
Unter welchen Voraussetzungen ist Klimatransformation überhaupt noch möglich?
Klimatransformation ist ein Marathon, kein Sprint – eine gesellschaftliche Mammutaufgabe. Vermeintliche Rückschritte, wie wir sie zurzeit erleben, sind normal. Die Bedeutung von Klimaschutz ist für die meisten Menschen nach wie vor hoch. Zur Klimakrise hinzugekommen sind aber neue Entwicklungen, die viele Menschen beschäftigen. Zu den Sorgen um den Ukraine-Krieg und den Konflikt im Nahen Osten, sind Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung hinzukommen, die Inflation, der Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. Wie der Stadtplaner Georg Franck 1998 bereits beschrieben hat, ist Aufmerksamkeit ein knappes Gut. In der Ökonomie der Aufmerksamkeit gilt, dass Menschen zunächst versuchen, den „Circle of Control“ aufrechtzuerhalten. Die Klimakrise liegt eindeutig im „Circle of Concern“. Diese gesellschaftlichen und psychologischen Mechanismen, Fragen der sozialen Akzeptanz und der Partizipation spielen deshalb in vielen CCC-Projekten eine große Rolle. Und natürlich darf die politische Seite nicht außen vor bleiben. Die Politik ist die Schlüsselstelle, wenn es darum geht, populistische Gruppierungen und Klimawandelskeptiker nicht zu Auslösern von sozialen Kipp-Punkten werden zu lassen. Demokratische Parteien dürfen sich in ihrer langfristigen Klimaagenda nicht von den Rechten treiben lassen. Klimapolitik ist Enkelpolitik.
Welches sind die nächsten Milestones des Netzwerks?
Ein wichtiges Transmissionsprojekt ist der „Wegweiser Klimaforschung“, den das CCC unter Federführung des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam gerade auf den Weg bringt. Gefördert wird das Projekt aus Mitteln des Klimaplans Brandenburg und der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege. Der Wegweiser wird vieles an dem im CCC gesammelten, oftmals personengebundenen und institutionsspezifischen Wissen zusammenbringen und damit die Navigation in der Berliner und Brandenburger Klimaforschungslandschaft erleichtern. Persönlich möchte ich für das CCC erreichen, dass es in fünf Jahren genauso etabliert ist wie das Climate Change Centre Austria, das als starker Akteur aus der Österreichischen Klimalandschaft nicht mehr wegzudenken ist.
Interview: Ernestine von der Osten-Sacken
Mit freundlicher Genehmigung von Brain City Berlin.